HTC Vive, die echte virtuelle Realität
09.08.2015 | 21:57 Uhr
Ziemlich genau zwei Jahre nach meinem allerersten VR-Erlebnis mit dem Oculus Rift DK1 hatte ich am Mittwoch auf der gamescom nun endlich die Gelegenheit, die von Valve und HTC entwickelte VR-Brille Vive auszuprobieren. Das Entwicklerkit von Oculus hatte mich damals richtig begeistert, erstmals hatte ich das Gefühl, selbst in einer virtuellen Welt zu stehen. Natürlich hatte das Gerät technisch noch einige Schwachstellen, an oberster Stelle wohl die geringe Auflösung des Displays. Vielen Leuten, darunter auch mir, bereitete das Headset aber schon nach kurzer Zeit furchtbare Übelkeit, weil das Tracking noch nicht alle Kopfbewegungen erfasste. Während sich andere Tester nach einiger Zeit an das System gewöhnt hatten, verspürte ich irgendwann schon beim Aufsetzen der Brille ein Unwohlsein. Entsprechend ließ meine anfängliche Begeisterung nach etlichen Demos dann etwas nach.
Das zweite Entwicklerkit der Rift sollte das Problem beheben, dachte ich, denn durch das erweiterte Tracking mit Infrarotkamera wurde nun auch die Verschiebung des Kopfes in die virtuelle Welt übertragen. Nachdem ich auch dieses System ausführlich testen konnte, stellte sich schnell heraus, dass es damit leider nicht getan war. Zwar kam es nicht mehr ganz so schnell zur sogenannten Motion Sickness, sie trat aber dennoch auf. Bald lernte ich, dass sich diese Problematik sich nicht unbedingt aus der Hardware ergab, sondern aus den Demos und Spielen, in welchen man sein virtuelles Ich herumbewegt, während man selbst am Schreibtisch sitzt - eben so, wie man es von Computerspielen gewohnt ist.
Allmählich war ich regelrecht frustriert von VR, blieb aber gespannt, in welche Richtung sich die Technologie weiterentwickeln würde. Immerhin experimentierte ja Valve noch an einem eigenen VR-Prototyp, der laut Erfahrungsberichten ein komplett anderes Erlebnis bieten sollte. In Zusammenarbeit mit HTC entstand daraus schließlich die HTC Vive, die nun wieder für viel Wirbel in der VR-Community sorgt. Wie bereits eingangs erwähnt, hatte ich jetzt das Glück, die Brille auf der gamescom für das HLPortal testen zu dürfen und ich habe das Gefühl, erst jetzt verstanden zu haben, was Virtual Reality eigentlich ist.
Michael Abrash hat auf den Steam Dev Days 2014 den Begriff der Präsenz hervorgehoben. So soll das menschliche Gehirn erst ab einer bestimmten technischen Grenze nicht mehr von virtueller und echter Welt unterscheiden können. Und genau das habe ich während der Vive-Präsentation erlebt: Als ich mich etwa in der Unterwasser-Demo "Deep Blue" einem dunklen Abgrund näherte, setzte automatisch ein Gefühl von Höhenangst ein und als ein riesiger Blauwal an mir vorbei schwamm, ging ich sofort ein paar Schritte zurück, um nicht von seiner Flosse erfasst zu werden. Mein Puls stieg, als das Tier vor mir stillhielt und mich beobachtete, obwohl ich ja eigentlich wissen musste, dass alles gar nicht echt war.
Eigentlich kann man die HTC Vive gar nicht mit den anderen derzeitigen VR-Brillen vergleichen, denn die Tatsache, dass alle Bewegungen eins zu eins in der Spielwelt umgesetzt werden, verändert das VR-Erlebnis enorm. Bei den einzelnen Hardwarekomponenten habe ich allerdings nur recht geringe Unterschiede zum Oculus Rift DK2 bemerkt. Natürlich ist mir das bessere Display der Vive aufgefallen, welches 25% höher aufgelöst ist als das des DK2. Vom sogenannten Fliegengitter-Effekt, der durch die Abstände zwischen den einzelnen Pixeln entsteht und welcher die bisherigen VR-Geräte plagte, habe ich fast nichts mitbekommen. Tatsächlich musste ich mich während des Testen kurz daran erinnern, um ihn überhaupt einmal wahrzunehmen. Zur Framerate kann ich sagen, dass alles komplett flüssig lief und auch beim Umherschauen keinerlei Verzögerung stattfand. Allerdings konnte ich dies auch schon beim Oculus Rift DK2 mit eingeschalteter Low-Persistence-Technik und 75Hz feststellen. Beim Sichtfeld habe ich keine sonderliche Verbesserung bemerkt, das Ganze fühlte sich leider immer noch ein wenig nach Taucherbrille an.
Gefallen haben mir die beiden VR-Controller, die eine intuitive Interaktion mit der Spielwelt erlauben, indem ihre Bewegung genau wie das Headset getrackt werden. Durch das Drücken der hinteren "Grip"-Taste, lassen sich dabei etwa auch Greifbewegungen recht glaubhaft umsetzen. Leider kam es bei einer der Vorstellungen zu einem Komplettausfall des linken Controllers, sodass das Tracking kurzerhand neu gestartet werden musste. Die Controller verfügen auch über eine Vibrationsfunktion, die ich aber nur beim Wegstupsen von virtuellen Luftballons bewusst wahrnahm, da es hier besonders realistisch wirkte. Als etwas problematisch empfand ich das dicke Kabel zwischen Headset und PC, welches sich beim Umhergehen einmal an meinem Fuß verhedderte und mich damit kurz aus der Illusion riss. Ich bin gespannt, ob sich hier in Zukunft eine kabellose Lösung durchsetzen kann.
Am Ende verließ ich den Demo-Raum mit einem riesigen Grinsen im Gesicht und einem kleinen Kärtchen, auf dem folgender Spruch stand: "I tried the HTC Vive and life won't be the same again". Ganz so euphorisch würde ich es zwar nicht formulieren, ich kann jedoch ganz klar sagen, dass meine Überzeugung von Virtual Reality wieder geweckt wurde. Übelkeit oder Schwindelgefühl trat während der gesamten Demo übrigens überhaupt nicht auf, was ich auf das präzise Tracking und nicht zuletzt die direkte Umsetzung der Bewegung ins Spiel zurückführe. Während Oculus und Co uns schon seit längerem VR versprechen, erscheint mir die HTC Vive als die erste Brille, die auch wirklich Virtual Reality bietet.